Studentenleben

Interview: Mit Kleinkind studieren

Die Landesregierung NRW diskutiert aktuell wieder die Einführung der Präsenzpflicht an Universitäten und stößt damit tausenden Studenten vor den Kopf, die neben dem Studium noch mit anderen Baustellen zu kämpfen haben. Wie lässt sich ein Studium mit Anwesenheitspflicht zum Beispiel mit einem Kleinkind vereinbaren? Dazu habe ich mit Victoria Benner gesprochen, die vor einigen Jahren ihr Studium mit Baby gerockt hat. 

Erst einmal Danke, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Interview. Bitte erzähle zu Beginn doch kurz etwas über dich, damit die Leser wissen, mit wem sie es zu tun haben.

Ich bin Victoria, Autorin und Historikerin, habe aber ursprünglich Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte gelernt. So war ich schon etwas älter, als ich mein Geschichtsstudium aufgenommen habe. Während des ersten Semesters ist meine Tochter geboren, sodass ich mein Studium von Anfang an mit Kind organisieren musste.

(c) Victoria Benner
Aktuell wird in NRW wieder über die Einführung der Präsenzpflicht an Universitäten diskutiert. Als du studiert hast, gab es diese noch. Welche Erfahrungen hast du damit generell gemacht? 

Als ich mit dem Studium anfing, gab es die Präsenzpflicht nicht immer noch, sondern schon wieder. Wir waren der erste Studiengang, der wieder eine Anwesenheitspflicht hatte, worauf auch am Anfang jeden Semesters von den Professoren mit den Worten „Dreimal dürfen Sie fehlen, aber mehr nicht, sonst bekommen Sie den Schein nicht!“ hingewiesen wurde. Für mich als Mutter war die Präsenzpflicht immer so eine Sache. Natürlich wollte ich nicht fehlen, aber mit einem Kind und jeder Menge Kinderkrankheiten konnte ich das nicht immer beeinflussen. Jedes Mal, wenn ich wieder daheimbleiben musste, weil meine Tochter fieberte, war es für mich eine Zitterpartie, ob ich doch noch den Schein für den Kurs bekommen würde oder nicht. Es verlangte jedes Mal Kreativität und Organisation, um den Überblick zu behalten, in welchem Kurs ich dieses Semester bereits gefehlt hatte, wo ich mir noch einen Fehltag „leisten“ konnte, und wo nicht. Und natürlich musste ich auch gucken, wo ich welche Eigenleistung, z.B. ein Referat, zu erbringen habe. Es ist klar, dass es nicht sonderlich positiv ankommt, wenn man ausgerechnet an dem Tag fehlt, an dem man ein Referat halten soll, unabhängig vom Grund. Daher hatte ich das immer im Blick und versuchte wenigstens mein Referat zu halten. Gerade auch, um mir das Wohlwollen der Professoren nicht zu verspielen. Denn nur weil es eine Präsenzpflicht gab, musste das nicht heißen, dass sie auch rigoros durchgedrückt wurde.

Was mein Hauptfach anging, hatte ich Glück. Wir waren nur eine kleine Fakultät, man kannte sich und jeder Professor wusste um meine Situation. Daher änderte sich nach dem ersten Semester der Spruch und plötzlich hieß es: „Dreimal dürfen Sie fehlen, danach bekommen Sie ihren Schein nicht mehr. Das gilt für alle, außer für Frau Benner. Die hat ein kleines Kind.“ Das war natürlich nett gemeint und hätte bei anderen sicher viel Druck herausgenommen, aber ich war – und bin nicht – der Typ, der etwas geschenkt haben möchte. Daher war es für mich klar, dass ich das „Angebot“ wirklich nur dann nutze, wenn es nicht wirklich nicht anders ging. Lieber sprach ich mich mit meinem Partner ab, dass er das Kind während einer Veranstaltung nahm, so dass ich anwesend sein konnte, um danach zum Kindhüten zurückzulaufen. Wir hatten Glück und wohnten fußläufig von der Uni entfernt. Manchmal war es in manchen Semestern nur mit Hängen, Würgen und Nachtarbeit möglich.

Bei dir war die Situation besonders, weil du auch noch ein kleines Baby hattest. Welche Probleme kamen da auf dich zu? 

Die wenigsten denken an die Zugänglichkeit der Räume. Ein Baby liegt für gewöhnlich in einem Kinderwagen, denn auf Dauer werden die schon ziemlich schwer. Die meisten Räume an der Uni waren aber nicht barrierefrei und daher weder für Menschen mit Rollstuhl noch für mich mit Kinderwagen zugänglich. Das war natürlich alles andere als prickelnd und ich hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn ich den Wagen draußen stehen lassen musste und meine Tochter wie ein Laib Brot auf dem Schoß unter dem Tisch liegen hatte. Aber welche Möglichkeit hatte ich sonst? Das Kind im Wagen liegen lassen? Wohl kaum.

Dann war da natürlich die Präsenzpflicht: Kinder werden krank. Gern mehr als 3 x pro Semester. Und dann kamen noch die Tage dazu, an denen ich meine Tochter mit in die Veranstaltungen nehmen musste, weil die Betreuung ausfiel. In solchen Situationen ist man massiv auf das Wohlwollen der Professoren, Dozenten und der anderen Studenten angewiesen. Nicht jeder möchte ein Kleinkind im Seminar haben. In der Regel habe ich versucht den Professor vorzuwarnen und meist hieß es dann „Ja, na dann kommen Sie halt mit Kind, aber sehen Sie zu, dass es sich beschäftigen kann und wenn es gar nicht mehr geht, dann müssen Sie halt gehen”. Dass ich aus einer Veranstaltung geflogen bin, weil ich meine Tochter dabeihatte, habe ich nur zweimal erleben müssen. Einmal bin ich selbst gegangen, weil sie einen schlechten Tag hatte und nur noch brüllte. Aber ansonsten hatte ich im Großen und Ganzen Glück, weil die Professoren nett und meine Tochter sehr umgänglich war.

Ein weiteres Problem war der Zugang zu Informationen: Natürlich möchte man sich darüber informieren, wie sich ein Studium mit Kind gestaltet. Dazu kommen noch Tausende andere Fragen. Etwa, ob die Uni einen Kindergarten für Studierende hat und wie man an solch einen Platz kommt. Oder wie steht es mit dem Mutterschutz? Hat man als Studentin überhaupt ein Anrecht darauf? Was, wenn ausgerechnet im Mutterschutz die wichtigen Prüfungen liegen? Muss man diese dann trotzdem mitschreiben? Kann man sie verschieben oder nachholen? Auch stellt sich die Frage ob man vielleicht eine Wohnung in einem Studentenwohnheim bekommen könnte. Und das ist nur eine kleine Auswahl an Fragen, die aufkommen. Familien oder Frauen mit einem Kind haben theoretisch Anspruch auf eine Vielzahl von Leistungen, die nicht nur die Uni, sondern auch die Stadt vergibt, aber die meisten haben keine Ahnung, was ihnen alles zusteht und es gibt auch keine zentrale Stelle, wo man all diese Informationen gebündelt bekommt. Wenn überhaupt, dann erhält man diese häppchenweise – wenn man Glück und einen netten Sachbearbeiter hat. Ich weiß, jeder hat die Pflicht, sich selbst zu informieren, aber ich bin während meines Studiums teilweise von Pontius zu Pilatus gerannt, in der Hoffnung auf eine Information. Ich habe oft Stunden mit meiner Tochter auf irgendwelchen Fluren zugebracht, weil wir auf einen Sachbearbeiter warten mussten und das, obwohl wir beide unsere Zeit besser hätten verbringen können!

Hattest du viel Unterstützung durch deinen Mann, deiner Familie? 

Da ich in Süddeutschland lebe und die Familie entweder in Norddeutschland oder in Frankreich wohnt, hatte ich keine Unterstützung von der Familie. Mein Göttergatte hat zu Anfang meines Studiums selbst noch studiert und eine Übernahme von Pflichten war ihm nicht möglich. Später musste er dann für ein Semester aushelfen und unsere Tochter für anderthalb Stunden am Nachmittag übernehmen, damit ich eine Veranstaltung besuchen konnte. Ansonsten ist alles an mir und später an einer Tagesmutter hängen geblieben, die ich mir dann, zum Glück, leisten konnte. Ich habe bereits früh versucht, einen Kitaplatz zu finden, aber das war eher die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wenn am Ende nicht die Tagesmutter ihre Beziehungen hätte spielen lassen, wäre unsere Tochter wohl auch mit dreieinhalb nicht in die Kita gekommen, weil kein freier Platz zu finden war.

Wie haben Professoren auf deine Situation reagiert? Gab es Unterschiede zwischen Dozenten und Dozentinnen? 

Das ist eine lustige Frage, denn ich hatte in keiner meiner Veranstaltungen eine Dozentin. Ob es daher einen Unterschied in ihren Reaktionen gibt, kann ich nicht sagen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es bei den Dozenten darauf ankam, welcher Jahrgang sie waren und ob sie selbst Familie hatten. War letzteres der Fall und waren sie etwas jünger, dann war es für sie kein Problem, wenn ein Kind in ihren Veranstaltungen war, wenn dieses sich denn gut benahm. War der Professor eher älteren Semesters, wurde die Sache schon etwas schwieriger. Ich hatte tatsächlich einen Professor, der seine ablehnende Meinung erst änderte, als seine eigene Tochter alleinerziehend wurde und er hautnah erlebte, wie schwierig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist.

Ebenso kam es darauf an, ob die Professoren einen kennen oder nicht und wie ihre persönliche Meinung von einem war.  Wenn man kein Problem mit seinen Professoren hatte, ansonsten immer anwesend war und seine Hausarbeiten und Referate pünktlich abgab bzw. hielt, dann gab es für die meisten keinen Grund, einem nicht zu helfen. Auch wenn das hieß, dass plötzlich ein kritzelndes Kind bei dem Stichwort „Frankreich“ unter dem Tisch hervorkam und quer durch den Raum flüsterte: „Mama! Der Mann hat Frankreich gesagt! Ich weiß, wo Frankreich ist!“

Hättest du dein Studium als leichter schaffbar empfunden, wenn es die Anwesenheitspflicht nicht gegeben hätte? 

Auf jeden Fall. Das hätte mir einen Großteil meiner Jongliertätigkeiten und sicher auch eine Menge Stress erspart. Ebenfalls möglich wäre ein Halbtagsstudium, so dass man sein Studium mit der Kinderbetreuung oder auch einem Studentenjob vereinbaren kann. 

Sollte die Anwesenheitspflicht wieder eingeführt werden, welche Verbesserungen würdest du dir wünschen, damit Studierende mit kleinen Kindern dennoch ihr Studium aufnehmen und abschließen können? 

Ich verstehe nicht, warum man die Anwesenheitspflicht überhaupt wieder einführen will, wenn sie doch abgeschafft ist! Damals gab es durchaus sehr gute Gründe, warum man sie abschaffte, daher erschließt es sich mir nicht, warum man jetzt zurückwollen würde.

Es geht ja nicht nur darum, dass man wegen eines Kindes in der Veranstaltung fehlen könnte. Es gibt auch noch andere, ebenso gute Gründe, wie z. B. ein Job, um das nötige Geld für die Miete zu verdienen. Manche Studierende pflegen auch ihre Angehörige. Jetzt die Anwesenheitspflicht wieder einzuführen, halte ich also für sehr kurzsichtig. 

Was ist dein Fazit?

Die Präsenzpflicht mit Kind ist eine Gratwanderung. Denn es bedeutet, dass man alle Krankentage für das Kind aufspart (es könnte ja jederzeit krank werden), sich selbst komplett vernachlässigt und mit seinen Pflichten jonglieren lernt, wie es sonst nur Zirkusakrobaten tun, während man gleichzeitig enorm auf das Wohlwollen der Professoren und auch der anderen Studenten angewiesen ist. Schließlich ist ein Kind im Seminarraum nicht jedermanns Sache. Zudem braucht es mehr Kita- und Krippenplätze. Wenn ich meinen Hintern in die Uni schieben soll, dann muss die Betreuung für mein Kind geregelt sein. Anders ist eine Vereinbarkeit von Familie und Studium oder auch Beruf nicht gegeben. Gleiches gilt natürlich auch für die Situation von pflegenden Angehörigen. Auch die müssen sehen, wie sie das Studium mit ihren Pflichten als Pflegeperson vereinbaren können. Die Bundesländer sollten aufhören, so kurzsichtig zu handeln und ihren Bürgern aktiv helfen.

Sollte eine Anwesenheitspflicht wieder eingeführt werden, wird man wohl entsprechende Regelungen finden müssen, die besagen, dass es gute Gründe gibt, warum man mehr als eine bestimmte Anzahl an Fehltagen haben kann, wenn man nicht möchte, dass das zu Lasten pflegender Angehöriger oder aber arbeitender Studenten geht.  Anders ist eine Vereinbarkeit von Studium und Leben nicht machbar. Die Vorstellung, dass nur Abiturienten, die noch bei Mama und Papa wohnen, sich in den Veranstaltungen tummeln, ist schlichtweg falsch. Lernen ist etwas, dass man das ganze Leben hindurch machen sollte. Entsprechend muss sich die Uni auch ausrichten und nicht nur eine privilegierte Gruppe an Studierenden bedienen. Ebenso begrüßenswert wäre natürlich auch eine Anhebung der BAföG-Sätze. Die aktuellen reichen kaum für den normalen Studierenden, der noch dazu verdienen könnte. Aber für Familie mit Kind sind sie einfach nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und zuletzt sollte man als Elternteil den Partner oder die Partnerin mit in die Pflicht nehmen und sich die Betreuungszeit teilen, um als gleichberechtigtes Team zu agieren! 

Danke, Victoria, für dieses Interview!

2 thoughts on “Interview: Mit Kleinkind studieren

  1. Gratulation, dass sie es durchgezogen hat. Dauernd solche Schwierigkeiten ist wirklich sehr beeindruckend. Mich würde es auch sehr interessieren, wie es nach dem Studium weiter gegangen ist. Ist es jetzt mit Job und Kita einfacher?
    Wie habt ihr euch kennengelernt?

    1. Hallo Eva 🙂 Victoria hat ihr Studium mittlerweile erfolgreich abgeschlossen und ihre Tochter ist schulpflichtig. Ein genauer Vergleich, ob es nun leichter ist, ist somit nicht möglich. Kennengelernt haben wir uns über unsere gemeinsamen Leidenschaften, Twitter und das kreative Schreiben.

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